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Herpesviren und Immundefekte
Priv.-Doz. Dr. med. Wilfried P. Bieger
 
Die Gruppe der Herpesviren umfasst nach aktueller Definition neun Viren: HSV1, HSV2, VZV (HHV3), EBV (HHV4), CMV (HHV5), HHV6 Typ A, HHV6 Typ B, HHV7 und HHV8. Im Unterschied zu den meisten anderen Viren persistieren alle nach Erstinfektion lebenslang in Form einer sogenannten „latenten“ Infektion. Ihre Aktivität wird durch das zelluläre Immunsystem, in erster Linie die T-Zellen, kontrolliert. Dennoch bleiben die Viren während der Latenz auf niedrigem Niveau aktiv.
 
So kennt man bei EBV drei Latenzstadien mit Reproduktion verschiedener Virusproteine – unterhalb des Stadiums der aktiven oder reaktivierten Infektion mit Bildung kompletter Viren. Reinfektionen sind nur für CMV bekannt. Das Virusgenom wird nach Erstinfektion dauerhaft episomal in der Wirtszelle gelagert. Nur bei HHV6 ist auch die Möglichkeit der telomeren Integration des Virusgenoms ins Wirtsgenom bekannt. Bei 0,5–1 % der Bevölkerung kommt daher ein chromosomal integriertes Virus angeboren (inborn: iciHHV6) oder nach Erstinfektion erworben (ciHHV6) vor. EBV persistiert in B-Zellen (und Epithelzellen), CMV in Monozyten, Lymphozyten und Epithelien, HHV6 und 7 in zahleichen Zellarten, insbesondere T-Zellen, anderen Lymphozyten, Monozyten, Makrophagen, Epithelien bis zu Nervenzellen. Dagegen persistieren HSV1, 2 und VZV ausschließlich in Nervenganglien. Reaktivierung von Herpesviren kann durch Stress, akute Infektionen, Sonne (UVB: HSV), Immunsuppression, Ernährungsmängel etc. ausgelöst werden.
 
Alle Herpesviren – auch die neurotropen Viren – sind bei Erstinfektion nur kurze Zeit im Blut nachweisbar. Bei Reaktivierung ist der Nachweis im Speichel bzw. Oralabstrich am besten, erheblich sensitiver als der Nachweis in Vollblut oder Plasma. Dabei ist lediglich zu berücksichtigen, dass EBV auch bei spontanen Aktivierungszyklen im Gesunden (statistisch 4 x pro Jahr) in geringer Menge im Speichel auftritt (< 3000 Virusgenome/ml), HHV6 sogar fast durchgehend.
 
Angeborene Immundefekte, vor allem zelluläre Defekte (NK- und/oder T-Zellen), haben massiven Einfluss auf Inzidenz und Klinik der Herpesvirus-Infektionen. Bekannt sind u. a. NK-Zelldefizienz, funktionelle NK-Zelldefekte, IFNgamma-Rezeptor-Mutationen, low-CD4, CD4-Funtionsdefekte, CD8-Effektordefekte. Sie sind immer mit exazerbierten EBV-Infektionen bis zu chronischer EBV-Infektion, Lymphomen und Tumoren verbunden.
 
Auch für HHV6 A/B, CMV, VZV und HSV sind bei zellulären Immundefekten schwere Krankheitsverläufe bis zu Enzephalitis, Lymphomen bekannt. Humorale Immundefekte, in erster Linie IgG-/IgG-Subklassendefekte (IgG3), können ebenfalls zu schwereren Erkrankungen, Infekthäufung und Reaktivierungen führen, allerdings ungleich geringer als zelluläre Defekte. Das Gleiche trifft für erworbene humorale und vor allem zelluläre Immundefekte zu. Eine quasi physiologische Form des sekundären Immundefektes ist die Immunoseneszenz des Alters. Das Antikörperprofil (EBV) ändert sich im höheren Alter vom „late“ zum „early“ Antigenmuster, die zelluläre Immunkompetenz sinkt kontinuierlich ab, Reaktivierungen von HHV-Infektionen treten vermehrt auf, z. B. Herpes-Exazerbationen, Gürtelrose/Zoster.
 
Auch bei völlig Gesunden kann die HHV-Infektion sehr unterschiedlich verlaufen. Die meisten Erstinfektionen geschehen im Säuglings-/Kleinkindalter, meist asymptomatisch oder mit mildem Fieber (z. B. Drei-Tage-Fieber bei HHV6). Je älter die Erstinfizierten sind, desto häufiger treten schwerere Infektionen auf. Bei EBV wird vermutet, dass genetische Virusvarianten dabei beteiligt sind. Für EBV werden zwei Subtypen postuliert, die sich nach aktueller Kenntnis durch die SNP-Häufung im EBNA3-Gen unterscheiden. Die klinisch problematischere EBNA3-Variante mit hoher SNP-Rate (EBV 2) ist in unseren Breiten erheblich seltener als die Normalform. In Asien kommt allerdings der EBV-Typ 2 erheblich häufiger vor, parallel dazu vermehrt EBV-Persistenz in T- und NK-Zellen sowie in T- oder NK-Zelllymphome.
 
Bei komplizierten Verläufen der Erstinfektion im Erwachsenenalter finden wir gehäuft T-Zell-Funktionsdefekte, die in vitro im LTT mit Zytokinbestimmung (ITT) messbar sind. Während die angeborenen T-Zell-Funktionsdefekte mit schwersten Komplikationen einhergehen, kommen bei ansonsten immunologisch unauffälligen Erwachsenen eher erworbene Funktionsdefekte in Betracht. Die bekannteste Form der T-Zelldefizienz ist die physiologische Downregulation der T-Zell-Antigenreaktion bei lang-anhaltender Antigenexposition („T cell-Exhaustion“). Dabei gelangen vermehrt inhibitorische Moleküle auf die T-Zelloberfläche (PD-1, CTL4 etc.), die die T-Zellaktivierung blockieren. Auch die verstärkte Präsenz von immunregulatorischen Zytokinen wie IL-10 kann zur T-Zellhemmung führen. EBV exprimiert selbst ein virales IL-10 (vIL-10), das wie humanes IL-20 wirkt. Auch regulatorische T-Zellen können im Krankheitsverlauf weitgehende Immuntoleranz induzieren, die zur T-Zellanergie führt.
 
Eine gezielte Therapie der HHV-Erstinfektion ist meist nicht nötig, vorausgesetzt die Nährstoffsituation der Erkrankten ist gut. Anders sieht es bei protrahierten Verläufen mit anhaltender Virusreplikation oder bei klinisch relevanten Reaktivierungen aus. Für die Behandlung stehen einerseits Virostatika (Valaciclovir, Valganciclovir, Famvir, Foscarnet etc.), andererseits Immunmodulatoren, die die antivirale Immunkompetenz steigern, zur Verfügung. Zu letzteren zählt für mich das rezeptierbare Inoprinosin Delimmun® (Inosin pranobex) und das frei verkäufliche Biobran®. Beide stimulieren nachhaltig die antivirale T- und NK-Zellproliferation und -aktivität. Dazu kommen auf jeden Fall Vitamin D und die Optimierung des Mikronährstoffstatus.
 
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